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Augsburg: Aktivisten wandeln Hallstraße temporär in autofreie Zone um

Aktivisten nehmen die Verkehrswende selbst in die Hand und nützen
das Versammlungsrecht, um zu zeigen, was in Augsburg verändert werden
soll. Dies soll ab sofort regelmäßig im Rahmen des „Auto-Frei-Tag“
stattfinden.

Aktivisten hinter dem Augsburger Verkehrswendeplan nutzen am Freitag (24.06.2022) das Versammlungsrecht, um temporär eine autofreie Zone umzusetzen: für die Zeitdauer der beiden Pause des Holbein-Gymnasiums (09:30-09:50 und 11:20-11:40) und der Ulrichschule (10-11 Uhr) wird die Hallstraße durch die Versammlungsfreiheit für den Autoverkehr gesperrt.

Eine solche Aktion fand auch schon mehrfach statt: im Rahmen der Vorstellung des Verkehrswendeplans, am darauffolgenden Dienstag (17.05.2022) als Reaktion auf einen Unfall in der Hallstraße sowie an den zwei Freitagen vor den Pfingstferien, so Florian Lenz (21). „Wir zeigen, dass eine Sperrung der Hallstraße für Autos möglich und notwendig ist.“

Seit mittlerweile mehreren Jahrzehnten ist eine autofreie Hallstraße im Gespräch; es ist ein lang gehegtes Begehren der Schulfamilie ums Holbein-Gymnasium. „Daher zeigen wir direkt während der Pausen des Holbein-Gymnasiums, wie die autofreie Hallstraße aussehen könnte: als sicherer Schulweg, als Freiraum für Schüler und als Bestandteil
einer zentralen autofreien Fahrradstraßenverbindung durch die Innenstadt“, so Ute Grathwohl (49).

„Die Zeit des ungezügelten Autoverkehrs vor Schulen ist vorbei“, erklärt Ute Grathwohl (49), die sich beim Verkehrswendeplan insbesondere zum Thema sichere Schulwege einbrachte. „Als Mutter ist mir dieses Thema ein besonderes Herzensanliegen.“ Auch bei der Roten-Tor-Schule kam es erst vor wenigen Wochen zu einem Unfall, bei dem ein Grundschüler vor der Schule von einem Auto erfasst und verletzt wurde.

Die Aktivisten kündigten an, fortan regelmäßig Schulstraßen mittels Versammlungsrecht temporär autofrei umzugestalten, unter anderem im Rahmen des Auto-Frei-Tags, im Rahmen dessen Straßen vor Augsburger Schulen temporär für den Autoverkehr gesperrt werden sollen. „Dazu ermächtigen wir auch die Schüler selbst durch Versammlungsrecht-Workshops. Solange die Stadt keine Sofortmaßnahmen wie im Verkehrswendeplan vorgeschlagen umsetzt und einseitig das Partikularinteresse Auto fördert, bleibt Verkehrswende Handarbeit“, erklärt Grathwohl. Selbst der ADAC fordere, dass Kinder zu Fuß oder per Fahrrad unterwegs sein sollen, um das frühzeitig zu lernen – und dass deshalb Elterntaxis, falls es sie noch gibt, mindestens 250m von Kindergärten und Grundschulen wegbleiben, so die Aktivisten.

Grathwohl bezieht sich damit auch auf die seit Jahren kontinuierlich ansteigenden Autozahlen in Augsburg. Vor allem die für Fußgänger mit geringer Körpergröße – klassischerweise Kinder im Kita- und Schulalter – besonders gefährlichen großen SUV sind in immer größerer Zahl auf den Straßen unterwegs. „Hier wäre die Politik gefragt,
durch einen günstigen und ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr
attraktive Alternativen zu schaffen.“  Die Aktivisten schlagen dafür
im Verkehrswendeplan ein Ausbau des Tramliniennetzes, etwa nach Hochzoll
Süd und Richtung Hammerschmiede vom Hauptbahnhof kommende durch die
Karlstraße und von Göggingen über Messe zum Innovationspark oder, wie
schon lange geplant, nach Haunstetten Süd, vor.

„Kurzfristig möglich ist die Etablierung von Schnellbussen auf den
Bundesstraßen mit enger Taktung im AVV-Gebiet zur Verknüpfung von
DB-Bahnhöfen, Straßenbahnästen und Randzielen.“

Die Stadt sei dabei in der Pflicht, öffentlichkeitswirksam entsprechende
Fördermittel bei Bund und Land einzufordern, sowie übergangsweise von
Augsburgs Unternehmen eine Nahverkehrsabgabe zu erheben. „Das ist nur
fair, schließlich profitieren unsere Unternehmen von einer guten
Mobilität ihrer Kunden und Beschäftigen.“

ÜBER DEN VERKEHRSWENDEPLAN

Der Verkehrswendeplan ist der erste umfassende Konzeptentwurf für eine
Umgestaltung des öffentlichen Raums im Sinne einer Verkehrswende. Neben
fünf übergeordneten Zielen formuliert er zahlreiche konkrete Vorschläge
für Augsburgs Straßenraum.

ÜBER DAS KONZEPT DER NAHVERKEHRSABGABE

Bei der Nahverkehrsabgabe (versement transport) wird die französische
Taxe Versement de Transport (VT) als Vorbild genommen, die Kommunen ab
20.000 Einwohnern zweckgebunden zur ÖPNV-Finanzierung erheben können.
Das Steueraufkommen kann investiv und konsumtiv verwendet werden. Die
französische Nahverkehrsabgabe ist von Arbeitgebern mit mehr als zehn
Mitarbeitern und vom Einzelhandel als Nutznießer des ÖPNV-Angebots zu
entrichten. Die Nahverkehrsabgabe ist an die Lohnsumme gekoppelt und der
Steuer-Höchstsatz orientiert sich an der Einwohnerzahl der Kommune.

– Abgaben entweder pauschal für alle Gewerbetreibenden, die vom
kostenlosen Personenverkehr profitieren (Handel, Dienstleister,
Hotels, Gaststätten, Touristik usw.) oder speziell für die Anlieger an
Linien, wenn Haltestellen z.B. an öffentlichen Einrichtungen,
Geschäften und anderen Vielfachzielen eingerichtet werden. So wird in
Frankreich der kostenlose Nahverkehr finanziert. Dafür nötig ist eine
Ermächtigung für Kommunen, solche Nahverkehrsabgaben erheben zu
können.

– Integration bisheriger Kunden- und Sonderlinien in die
Freifahrnetze. So bringen z.B. im ländlichen Bereich Supermärkte
ihre Kunden 1-2x pro Woche von den Dörfern zu ihrem Laden.
Solche Linien können in den Nulltarifs-Fahrplan integriert und der
Handel an den Kosten beteiligt werden.