Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine markiert den Beginn einer neuen Phase deutscher Verteidigungspolitik: Endlich besteht über Partei- und Ländergrenzen hinweg Konsens, dass die Bundeswehr durch gezielte Investitionen in einen Zustand versetzt werden muss, der es ihr gestattet, ihrem Verteidigungsauftrag und ihren Bündnisverpflichtungen uneingeschränkt nachzukommen.
Als zweitgrößtes Bundesland kann und will Bayern dazu seinen Beitrag leisten. Es gibt leistungsfähige Bundeswehrstandorte in Bayern, die dieser Aufgabe gewachsen sind – entscheidend ist, dass sie angemessen ausgestattet und auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet werden. Die FREIE WÄHLER Landtagsfraktion hat in diesem Zusammenhang einen Zehn-Punkte-Plan entwickelt, der die wichtigsten Maßnahmen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit zusammenfasst.
Dazu der Vorsitzende der FREIE WÄHLER Landtagsfraktion Florian Streibl:
„Deutschland hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Friedensdividende nicht genutzt, sondern die Bundeswehr an den Rand der Handlungsunfähigkeit gespart. Weite Teile der Ausrüstung funktionieren nicht oder nur eingeschränkt. Als FREIE WÄHLER-Fraktion sprechen wir uns deshalb klar dafür aus, dass das hundert Milliarden schwere Sondervermögen ‚Bundeswehr‘ sinnvoll ausgegeben und zunächst einmal in eine zeitgemäße Ausrüstung investiert wird – und nicht für Berater oder Marketingzwecke verschwendet wird. Auch Personalzulagen oder erweiterte Ausgaben dürfen nicht über das Sondervermögen finanziert werden. Die hundert Milliarden Euro allein werden aber nicht reichen. Daher muss ab sofort der Verteidigungshaushalt deutlich anwachsen. Die Umsetzung des Zwei-Prozent-Ziels kann dabei nur die Untergrenze sein.“
Dazu der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und verteidigungspolitische Sprecher für Fragen der BundeswehrBernhard Pohl:
„Meine Bayern-Tour mit dem Besuch von insgesamt 14 Standorten hat mir nochmals deutlich gemacht: Bayern kann und muss eine zentrale Rolle bei der Neuaufstellung der Bundeswehr spielen. Wir haben beste Voraussetzungen, um entscheidend zur Landes- und Bündnisverteidigung beizutragen. Unsere Standorte haben Entwicklungspotenzial; mit der jahrzehntelangen Partnerschaft von Bevölkerung und Armee können wir auch ausreichend Nachwuchskräfte gewinnen, um den personellen Aufwuchs zu gewährleisten. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Teilstreitkraft des Sanitätswesens zu, die nach entsprechender personeller Stärkung und Aufstellung der geplanten neuen Regimente über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus noch in stärkerem Maße als bisher eine Querschnittaufgabe bei der Krisen- und Katastrophenbewältigung übernehmen kann – im Zusammenwirken mit den bestehenden Organisationen.“
Dazu Oberst a.D.Richard Drexl:
„Ein Blick in die Ukraine zeigt die Bedeutung einer hohen Wertschätzung und engen Verbundenheit der Bevölkerung mit den eigenen Soldaten. Die Bundeswehr wieder zur Wahrnehmung der Landes- und Bündnisverteidigung zu befähigen, erfordert weit mehr als nur ein 100 Milliarden Euro-Programm zur Verbesserung der Ausrüstungslage. Die Bundeswehr muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. In der überdifferenzierten Struktur gibt es mehr Teilstreitkräfte bzw. Organisationsbereiche als Panzerbataillone. Als Folge der ständigen Bastelei an den Strukturen ist die Bundeswehr zu einem bürokratischen Labyrinth verkommen. In Ämtern und Kommandobehörden sind die Dienstposten, die der Truppe fehlen. Ganz konkret fehlen in der Panzerbrigade 12 mit Sitz in Cham etwa 600 Soldaten, jeder siebte Dienstposten ist unbesetzt.“
10-Punkte-Plan zur Neuaufstellung der Bundeswehr:
1.) Feste Verankerung im Verteidigungs- und Wertebündnis NATO
Der Krieg gegen die Ukraine zeigt: Die Sicherheit eines Landes hängt maßgeblich von der Mitgliedschaft in einem starken Bündnis ab.
Die NATO mit einer starken Verankerung in Europa und mit einer festen Bindung an unsere nordamerikanischen Partner war und ist Friedensgarant seit dem Zweiten Weltkrieg.
Zudem verbinden uns gemeinsame westliche Werte: Neben der militärischen Komponente ist unser Wertebündnis die zweite starke Säule unserer Sicherheitsarchitektur.
Eine gezielte Erweiterung der NATO um aufnahmewillige Staaten wie beispielsweise Schweden und Finnland ist schnell und unbürokratisch umzusetzen.
2.) Verteidigungsfähigkeit auf europäischer Ebene stärken
Wir benötigen auch in Europa einen stärkeren Schulterschluss mit unseren Partnern. Gemeinsame Verteidigungsstrategie, stärkere Zusammenarbeit bei Großgeräten mit dem Ziel einheitlicher Waffensysteme, verbindliche Festlegung von funktionsfähigem Material sowie ausreichende Truppenstärken sind nun in Angriff zu nehmen.
Die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern sollte nach dem Vorbild im Bereich des Lufttransportes intensiviert werden. Alle großen EU-Armeen haben ihre Transportflotten mit 170 Flugzeugen in einem europäischen Lufttransportkommando zusammengelegt. Die Nationen bleiben souverän, kooperieren jedoch beim Einsatz der Maschinen über den ganzen Kontinent hinweg zum unmittelbaren Vorteil der beteiligten Länder.
3.) Schwerpunkt auf Landes- und Bündnisverteidigung
Die Aufgabe der Landesverteidigung im Jahr 2003 wurde im Jahr 2014 zwar korrigiert, der Schwerpunkt muss aber angesichts der aktuellen Ereignisse noch stärker nachjustiert und auf diese Ziele fokussiert werden.
4.) Dauerhafte Sicherstellung der finanziellen Ausstattung der Bundeswehr
Wir benötigen für alle Teilstreitkräfte eine „Generalsanierung“. Die Bundeswehr soll im Verteidigungsfall unsere Sicherheit und Freiheit schützen. Sie muss in einen solchen Zustand versetzt werden, dass sie buchstäblich von heute auf morgen verteidigungsfähig ist.
Die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen „Bundeswehr“ beseitigen nur den Sanierungsstau der letzten Jahre. Mit diesem Geld allein können wir die anstehenden Aufgaben nicht bewältigen: Investitionen in zeitgemäße Waffensysteme, die Auffüllung der Bestände auf die Sollstärke, die Beschaffung von Munition für 30 Tage verschlingen jeweils bereits einen zweistelligen Milliardenbetrag. Hinzu kommen Investitionen in Gebäude, der Aufbau neuer Einheiten und nicht zuletzt die notwendige Personalgewinnung zur Aufstockung der Truppenstärke.
Daher muss ab sofort der Verteidigungshaushalt deutlich anwachsen. Die Umsetzung des Zwei-Prozent-Ziels (Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts) kann dabei nur die Untergrenze sein. Derzeit bedeutet dies eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts um etwa 20 bis 30 Milliarden Euro. Die notwendige schnelle Umsetzung der Maßnahmen erfordert in den ersten Jahren sogar einen noch höheren Betrag.
5.) Erhöhung der Soll- und Ist-Stärke der aktiven Truppe
Unsere Verteidigungsfähigkeit ist nur mit mehr Personal herzustellen. Das beginnt bereits bei der Sollstärke: Die Erhöhung der Soldaten von derzeit 184.000 auf über 200.000 ist zügig sicherzustellen. Die genaue Truppenstärke wird aber erst dann festzulegen sein, wenn sämtliche Reformvorhaben weitgehend abgeschlossen sind. Der Bedarf ist ständig nachzujustieren und anzupassen.
Das Verhältnis zwischen Soldaten, die sich um Verwaltungsaufgaben kümmern und jenen, die Einsatzaufgaben wahrnehmen, muss sich zugunsten der Einsatztruppe ändern. Soldaten sind mit Priorität in den Bereichen einzusetzen, in denen ein Kombattantenstatus erforderlich ist. Die kämpfende Truppe ist von unterstützenden Aufgaben zu entlasten.
Die Antrete-Stärke darf nicht wie seit Jahren der Fall um 25 Prozent von der Soll-Stärke abweichen. Nicht verfügbare Kräfte helfen nicht bei der Landes- und Bündnisverteidigung.
Zu ändern ist auch die Zählweise bei der Truppenstärke: Es kann nicht sein, dass bei der Berechnung jeder Soldat voll gezählt wird, auch wenn er in Teilzeit nur 20 Stunden beschäftigt ist.
6.) Stärkung der Reserve
Eine ausreichende Stärkung der Reserve ist von entscheidender Bedeutung auch für die aktive Truppe. Mit Reservistendienstleistungen können vorübergehend Lücken geschlossen werden. Dies gilt insbesondere für Auslandseinsätze wie auch die Auftragswahrnehmung in Mangelbereichen wie der Informationstechnik.
Der Aufbau von Heimatschutzregimenten ist der richtige Weg. Hier war der Freistaat mit dem Landesregiment Bayern Vorreiter. Andere werden folgen.
Darüber hinaus müssen wir künftig noch stärker als bisher auf Zeitsoldaten setzen. Diese sind bis zu zehn Jahre nach ihrem Ausscheiden verpflichtend zu regelmäßigen Reserveübungen heranzuziehen. Zeitsoldaten bilden überdies nach dem Ende ihrer Verpflichtungszeit ein natürliches Potenzial zur Gewinnung von zivilen Mitarbeitern bei der Bundeswehrverwaltung.
7.) Weiterentwicklung der Bundeswehr
Die Bundeswehr besitzt Alleinstellungsmerkmale bei der Krisen- und Katastrophenbewältigung. Die Soldaten verfügen über eine außergewöhnliche, in der Ausbildung speziell geschulte psychische Belastbarkeit. Deshalb sind sie bereits jetzt Teil des Bevölkerungsschutzes.
Ihre Aufgaben im Rahmen des Zivil- und Katastrophenschutzes sollen ausgebaut werden zu einer „Querschnittsaufgabe nationaler Krisenbewältigung“ unter Einbeziehung der bislang handelnden Akteure im Bund und Land, aber mit besonderen Schwerpunkten bei Krisen und Katastrophen nationalen Ausmaßes.
Die besonderen Fähigkeiten sind gerade im medizinischen Bereich von herausragender Bedeutung. Hier existieren große Schnittstellen, die gerade jetzt in der Corona-Pandemie sehr deutlich geworden sind.
Soldaten verfügen über Spezialausbildungen mit biologischen und chemischen Kampfstoffen. Das befähigt sie auch zu besonderen Hilfeleistungen in medizinischen Notlagen, etwa Pandemien. Gleiches gilt für Umweltkatastrophen.
Daher müssen wir die Teilstreitkraft des Sanitätswesens besonders in den Blick nehmen und noch stärker als bisher für den militärischen und den zivilen Einsatz gleichermaßen vorbereiten und ihre Personenstärke ausweiten.
Die Aufstellung der drei medizinischen Unterstützungseinheiten für die drei Divisionen ist schneller als bisher geplant in Angriff zu nehmen und aufzubauen. Die für die erste Division vorgesehene Tranche von 3.000 Soldaten ist bis spätestens 2025, die zweite Tranche bis 2028 und die dritte Tranche bis 2031 einsatzbereit zu stellen. Es ist zu untersuchen, ob dies auch noch schneller erfolgen kann.
Parallel dazu sind die erforderlichen Regimente aufzustellen und geplante Standorte baulich und infrastrukturell zu ertüchtigen.
Die Zivil-Militärische Kooperation in diesem Bereich ist weiter auszubauen. Im Verteidigungsfall werden wir auch auf die Kapazitäten ziviler Großkliniken flächendeckend zurückgreifen müssen. Die Krisenresilienz der zivilen Krankenhäuser und Teile der mit dem Militär zusammenarbeitenden Belegschaft ist zu stärken.
8.) Stärkung der heimischen Rüstungsindustrie
Eine Beschleunigung und Vereinfachung des Beschaffungswesens ist zur Bewältigung der anstehenden Investitionen unabdingbar. Handelsübliche und verfügbare Rüstungsgüter sind Neuentwicklungen vorzuziehen, übertechnisierte „Goldrandlösungen“ haben zu unterbleiben.
Die bayerische Rüstungsindustrie verfügt über herausragende Stärken in einsatzwichtigen Bereichen, darunter gepanzerte Fahrzeuge, Kampfflugzeuge, Hubschrauber, bei der Raketenabwehr und vielen weiteren mehr. Deren Förderung im Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten dient der Sicherung von hochqualifizierten Arbeitsplätzen, wie auch dem Ausbau der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes.
Im Interesse größerer Stückzahlen sind Rüstungsexporte für die heimische Rüstungsindustrie unerlässlich. Die Vorschriften für den Export von Rüstungsgütern in der Europäischen Union sind ausreichend, deren einheitliche Anwendung ist sicherzustellen. Weitergehende Exportbeschränkungen des deutschen Gesetzgebers sind zu streichen. Sie sind auch eine vermeidbare Erschwernis bei länderübergreifender Zusammenarbeit mit Partnerfirmen.
9.) Bauliche Maßnahmen bei der Bundeswehr zügig umsetzen
Es genügt nicht, Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen. Wir benötigen auch Behörden, die die Investitionsmaßnahmen zeitnah umsetzen.
Die staatlichen Bauämter des Freistaats Bayern sind für die Planungen und Durchführung der Baumaßnahmen in militärischen Liegenschaften zuständig. Für eine rasche Abarbeitung benötigen wir mehr Personal.
10.) Bayern – Heimat der Bundeswehr
Die Akzeptanz der Bundeswehr war auch in schwierigeren Zeiten nirgends so hoch wie im Freistaat. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Eine Stärkung bayerischer Standorte liegt daher im Interesse der Bundeswehr. Die gute Symbiose ist nämlich eine hervorragende Basis zur Nachwuchsgewinnung. Nirgendwo sonst wird es in vergleichbarem Maße gelingen, motivierte und qualifizierte Bewerber für den Dienst in der Truppe zu gewinnen.
Bayern bietet als besonders familienfreundliches Land auch den Angehörigen der Soldaten eine Heimat. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil häufiger Ortswechsel die Verwurzelung an einem Standort erschweren.
Wir wollen auch durch eine Dezentralisierung des Personalwesens den häufigen Standortwechsel reduzieren und dadurch die Familien stärken.