Die Zahl der Geflüchteten, die im Landkreis untergebracht werden müssen, ist aktuell auf dem höchsten Stand seit 2016
Die Energiekrise, der Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Corona-Pandemie – es gibt aktuell viele Probleme, die medial berechtigt sehr viel Aufmerksamkeit erhalten. Allerdings fallen dadurch zeitgleich andere dringliche Themen in der öffentlichen Wahrnehmung quasi unter den Tisch: So ist den wenigsten Deutschen bewusst, dass die Flüchtlingskrise, die in den Jahren 2015/2016 noch in aller Munde war, die zuständigen Behörden heute vor fast noch größere Herausforderungen stellt als es damals der Fall war – und das liegt nicht am Ukrainekrieg. Im Landkreis Augsburg kamen beispielsweise die meisten Schutzsuchenden im Dezember 2022 aus dem Irak, Afghanistan, der Türkei, Nigeria und Syrien. „Wir bekommen über die Regierung derzeit etwa 25 Personen pro Woche zugewiesen“, erläutert Landrat Martin Sailer. Selbst über die Weihnachtsfeiertage, an denen es in der Vergangenheit immer eine Art Zuweisungsstopp gab, kamen Geflüchtete an. „Wenn das so weitergeht, weiß ich nicht, wie lange wir es noch verhindern können, wieder Schulturnhallen zu Notunterkünften umzufunktionieren“, zeigt sich Sailer besorgt.
Vorhandene Unterkünfte sind voll belegt
Die 67 dezentralen Unterkünfte sowie die Gemeinschaftsunterkünfte der Regierung von Schwaben sind praktisch voll belegt, weshalb das Landratsamt bereits auf Beherbergungsbetriebe zurückgreifen muss, um die derzeit 2.113 asylsuchenden Personen staatlich unterbringen zu können. Das ist der höchste Stand seit 2016. Allein 1.023 von ihnen haben den Landkreis als Asylsuchende im Jahr 2022 erreicht, wobei in dieser Zahl die rund 2.000 Geflüchteten aus der Ukraine, die zumeist privat untergekommen sind, noch gar nicht eingerechnet sind. Vierstellig war die Marke der Neuzugewiesenen im Landkreis zuletzt im Jahr 2015. Danach waren die jährlichen Zuweisungen zeitweise sogar bis auf rund 200 Personen (im Jahr 2020) abgesunken. „Um Steuergelder einzusparen, hat man sich damals dazu entschieden, leerstehende Unterkünfte nicht dauerhaft vorzuhalten, weshalb uns jetzt rund 700 Plätze weniger als 2016 zur Verfügung stehen“, so Sailer. Ein Fakt, der es dem Landkreis heute schwierig macht, die notwendigen Kapazitäten wiederaufzubauen. Denn anders als 2015/2016 gibt es kaum geeignete leerstehenden Gebäude mehr, die Bereitschaft, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist stark zurückgegangen und viele Beherbergungsbetriebe, die damals zur Unterbringung angemietet wurden, haben die Corona-Pandemie nicht überlebt.
Landrat fordert mehr Unterstützung bei der Bewältigung der
UnterbringungsproblematikÜberdies steigt auch die Zahl der unbegleiteten, minderjährigen Geflüchteten seit der Vorjahresmitte stetig an und stellt Landkreise und kreisfreie Städte vor weitere Herausforderungen: „Die ohnehin begrenzt vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe sind sehr stark ausgelastet, weshalb wir teilweise auf Not- und Übergangslösungen zurückgreifen müssen, um die Kinder und Jugendlichen überhaupt noch unterbringen zu können. Allerdings müssen wir hier häufig Abstriche hinsichtlich Betreuung und Ausstattung machen, was alles andere als ideal ist“, bedauert der Landrat. Zudem mache sich auch der Fachkräftemangel im Bereich der Betreuung junger Menschen bemerkbar. Um die vorhandenen Ressourcen besser bündeln und gezielt einsetzen zu können, spricht sich Sailer für eine Art Anker-Einrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus, die von der Regierung zentral verwaltet und betrieben wird. „Da das hier ein gemeinsames Problem vieler Gebietskörperschaften ist, ist es, denke ich, an der Zeit, auch zum Wohl der zum Teil traumatisierten Kinder und Jugendlichen über zielführende Lösungsmöglichkeiten und neue Vorgehensweisen nachzudenken.“
Die Landkreisverwaltung arbeitet mit Hochdruck daran, die gesamte Situation weiterhin zu meistern. „Aber unsere Möglichkeiten sind nahezu ausgeschöpft und die Unterbringungsproblematik entwickelt sich zu einer existenziellen Frage“, macht Sailer deutlich und stellt klar: „Wenn wir nicht wollen, dass die Situation in den nächsten Monaten völlig aus den Fugen gerät, brauchen wir mehr Unterstützung von der Regierung. Es kann nicht sein, dass die Geflüchteten von den Ankerzentren immer nur zu uns weitergeschickt werden. Egal, ob wir verfügbare Plätze haben, oder nicht. Ich appelliere eindringlich an den Freistaat, möglichst schnell deutlich mehr Plätze in ihren eigenen Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen bzw. zusätzliche Gemeinschaftsunterkünfte anzumieten.“
Bild: Julia Peitsch