Die Hammerschmiede im Allgäu, Fundstelle des Menschenaffen Danuvius, ist eine einmalige Fundgrube für Paläontologen: Bereits über 140 fossile Wirbeltierarten konnten hier geborgen werden. Anhand der Knochenfunde lässt sich nun auch die Lebensweise und Entwicklung einer ausgestorbenen Biberart nachvollziehen: Steneofiber depereti war etwas kleiner als heutige Biber und besiedelte bereits vor über elf Millionen Jahren die Fließgewässer Süddeutschlands. Thomas Lechner und Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen schließen aus einer vergleichenden Untersuchung der Zähne des prähistorischen Nagers, dass die Populationsdynamik und Ökologie dieser Art der heutiger europäischer Biber bereits sehr ähnlich waren.
„Heutige Biber sind sehr familiär. Elterntiere und bis zu zwei Jungtiergenerationen kümmern sich gemeinsam um den Nachwuchs“, sagt der Grabungsleiter der Fundstelle, Doktorand Thomas Lechner. Geschlechtsreife Tiere verlassen schließlich den Clan und suchen sich ihr eigenes Gebiet. Die optimalen Biber-Reviere liegen vor allem an größeren Flüssen und sind meist schon besetzt, sodass junge erwachsene Biber gezwungen sind, flussaufwärts an kleineren Bachläufen zu siedeln. Die Überlebensbedingungen sind hier deutlich schwieriger und die Sterblichkeitsrate ist in dieser Altersstufe entsprechend höher als bei Alttieren, die einen optimalen Lebensraum besiedeln.
„Es ist ungewöhnlich, dass Aussagen zu Sterblichkeit und Ökologie fossiler Tierarten möglich sind – meist existieren nur Einzelfunde“, sagt Professorin Madelaine Böhme. Den Schlüssel liefere in diesem Fall die Fundstelle selbst: „Die Fundstelle Hammerschmiede gibt einen detaillierten Einblick in zwei unterschiedliche fossile Habitate, einen kleineren Bachlauf – der Lebensraum des Menschenaffen Danuvius guggenmosi ‒ und einen größeren Fluss.“ So wird es möglich, die Sterblichkeit der Biber im Fluss mit derer im Bach zu vergleichen. „Aus beiden Ablagerungsbereichen konnten wir die Zähne von vielen Bibern sammeln und anhand der jeweiligen Zahnabnutzung ‚Mortalitäts-Profile‘ erstellen und vergleichen“, erklärt Lechner.
„Das Ergebnis zeigt deutlich, dass im Bachbereich vor allem junge erwachsene Biber eine hohe Sterblichkeit aufwiesen und so gut wie keine Jung- und Alttiere vorhanden waren. Im Fluss hingegen, zeigt sich genau das Gegenteil: mit einer hohen Sterblichkeit im Baby-Alter und einer linear fallenden Alterssterblichkeit – junge erwachsene Biber scheinen hier zu fehlen.“ Exakt dieses Bild zeichnen auch heutige Biberpopulationen. Der optimale Lebensraum für Steneofiber depereti lag demnach wie bei heutigen Vertretern dieser Gattung in größeren Flussbereichen. Zudem ist zu vermuten, dass bereits vor elf Millionen Jahren Biber im Allgäu in Familienclans mit mehrjähriger elterlicher Fürsorge lebten.
Sowohl die ökologischen Gemeinsamkeiten dieser Biberart, als auch die morphologischen Eigenschaften der Zähne, lassen zudem schließen, dass Steneofiber depereti in der direkten Stammeslinie der heutigen Biber einzuordnen ist. „Die Backenzähne unseres fossilen Bibers zeigen Übereinstimmungen mit dem Vorläufer der heutigen Biber. Sie füllen eine kleine Lücke zwischen bisher klar abgegrenzten Arten und belegen eine eher kontinuierliche Biberevolution hin zur heutigen Form“, erklärt Lechner.
„Die Studie zeigt einmal mehr, wie lohnenswert die akribische Grabungsarbeit ist und welch einzigartiges Potential Fossilien besitzen können, indem nicht nur die reine Morphologie, sondern auch statistische Altersverteilungen der Funde unerwartete Einblicke geben können“, sagt Böhme.
Unter Leitung von Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen finden die Ausgrabungen in der Menschenaffen-Fundstelle Hammerschmiede seit 2011 statt. Seit 2020 werden sie vom Freistaat Bayern finanziell unterstützt. (Foto: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Thomas Lechner)