Ein Jahr ist vergangen, seit der Brexit offiziell besiegelt wurde. Trotz des damals beschlossenen Freihandelsabkommens sieht sich die bayerisch-schwäbische Wirtschaft beim Handel mit dem Vereinigten Königreich nach wie vor mit zahlreichen Unsicherheiten konfrontiert, wie eine Umfrage der IHK Schwaben zeigt. „Egal ob bei der Einfuhr von Gütern oder der Arbeitnehmerentsendung – die Unternehmen müssen bei früher alltäglichen Aktivitäten nun viele neue Vorschriften erfüllen. Das bedeutet einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand“, sagt Stefan Offermann, Vorsitzender des Ausschusses International der IHK Schwaben.
Am 24. Dezember 2020 hatten sich die EU und das Vereinigte Königreich nach zähem Ringen auf ein Handelsabkommen geeinigt. Dieses Abkommen regelt seit Jahresanfang das Verhältnis beider Akteure, nachdem Großbritannien aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion ausgetreten war. „Diese neue Normalität brachte einiges an Belastungen für die heimische Wirtschaft mit sich“, berichtet Stefan Offermann. Laut IHK-Umfrage machte sich der Brexit bei der Mehrzahl der Unternehmen durch Handelshemmnisse wie die neu eingeführte Produktkennzeichnung UKCA, erhöhte Zollbürokratie, Logistikprobleme sowie gestiegenen Kosten und einen erhöhten Verwaltungsaufwand bemerkbar.
Umstellung sorgt für Unsicherheiten bei Unternehmen
Zwar konnte durch das im vergangenen Dezember abgeschlossene Freihandelsabkommen verhindert werden, das Zölle erhoben werden oder Einfuhrbeschränkungen gelten. Für die EU ist das Vereinigte Königreich mit dem Austritt aber faktisch zum „Drittstaat“ geworden – mit weitreichenden Einschränkungen etwa bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmern oder einem erhöhten Aufwand für Ursprungszeugnisse bei Produkten. „Die Umstellungen haben bei den Unternehmen lange für Unsicherheit gesorgt“, berichtet Offermann.
Jedes zweite Unternehmen rechnete vor dem Brexit mit Einbußen
Rund 500 IHK-Unternehmen aus Bayerisch-Schwaben unterhalten derzeit aktive Wirtschaftsbeziehungen nach Großbritannien und Nordirland. Darunter vor allem Kfz-Zulieferer, Unternehmen aus dem Maschinenbau oder der Lebensmittelbranche sowie Speditionen. Einige exportieren Güter oder beziehen Waren von dort, andere haben Niederlassungen auf den Inseln. Eine BIHK-Umfrage aus dem Dezember 2020 hatte Befürchtungen geweckt: Damals war fast jedes zweite bayerische Unternehmen davon ausgegangen, dass sich das Geschäft mit dem Vereinigten Königreich 2021 verschlechtern wird. Tatsächlich hat sich der Außenhandel seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 merklich abgeschwächt. Der einst zweitwichtigste Handelspartner der bayerischen Wirtschaft liegt mit einem Exportvolumen von 10,3 Milliarden Euro nur noch auf Rang sechs.
Handelsvolumen mit dem Vereinigten Königreich schrumpft
Inzwischen hat sich die heimische Wirtschaft an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst, wie die aktuelle IHK-Umfrage zeigt: So gaben 77 Prozent der befragten Unternehmen an, trotz zusätzlicher Bürokratie an ihrem Engagement in Großbritannien festhalten zu wollen. „Das zeigt, dass die Unternehmen in Bayerisch-Schwaben trotz aller Unwägbarkeiten gut auf den Austritt vorbereitet waren und mit den Hemmnissen umgehen können“, berichtet Offermann. Die Aussichten für die Zukunft sehen die Unternehmen allerdings gemischt: Während drei Viertel der befragten Unternehmen ihre Geschäftsperspektive im Vereinigten Königreich positiv beurteilen, zeigt sich ein Viertel skeptisch. Zuletzt hatte sich das Handelsvolumen bayernweit unterdurchschnittlich entwickelt. Im Jahr 2020 waren die Exporte coronabedingt massiv eingebrochen. Nur 6,1 Prozent aller bayerischen Exporte gingen auf die Insel. Im ersten Halbjahr 2021 war das Volumen um 2,4 Prozent gestiegen. Allerdings: Diese Verbesserung hält nicht Schritt mit der Erholung bayerischer Exporte auf anderen, vor allem europäischen Auslandsmärkten. Hier liegt die Zunahme zum Teil in der Größenordnung von 20 bis 30 Prozent.
Politischen Rahmenbedingungen sind weiter schwierig
Die weiterhin schwierigen politischen Rahmenbedingungen geben den Unternehmen in Bayerisch-Schwaben zusätzlich Anlass zur Sorge. Auch ein Jahr nach dem Brexit sind nicht alle strittigen Fragen geklärt. Wegen der angedrohten Aussetzung des Nordirland-Protokolls durch die britische Regierung schwelt der Streit weiter. „Es ist zu hoffen, dass sich die Parteien wie zuletzt signalisiert, bis Weihnachten einigen, damit die Unternehmen Zeit haben, sich mit Vorlaufzeit auf etwaige Änderungen einzustellen. Sonst droht eine neue Hängepartie“, sagt Stefan Offermann. Auch der Marktzugang ins Vereinigte Königreich könnte sich schon in wenigen Wochen für die heimische Wirtschaft weiter verkomplizieren. Denn zum Jahresende laufen zahlreiche einseitige Übergangsfristen aus, die die Regierung in London für Einfuhren aus der EU gewährt hat.