Die St. Josefskongregation Ursberg hat am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, einen neuen Gedenkort für die Opfer aus dem Dominikus-Ringeisen-Werk offiziell vorgestellt. Bei der Segnung der Gedenkstätte im Klostergarten mit zahlreichen Gästen sagte dessen Schirmherr, Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek: „Die Erinnerung wachzuhalten und das unfassbare Geschehen der Vergangenheit ein Stück sichtbarer zu machen, ist eine bedeutende Aufgabe. Am Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus stellen wir uns dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und übernehmen Verantwortung dafür, dass wir uns angemessen mit den historischen Ereignissen auseinandersetzen.“
„Die Verbrechen der Nazi-Zeit dürfen sich nicht wiederholen“, so Holetschek weiter. „Zu dieser Verantwortung gehört auch, die Erinnerung an die Verbrechen wachzuhalten, wie hier und heute mit der Gedenkstätte für Euthanasie-Opfer in Ursberg. Sie erinnert an die 379 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen, die in den Pflegeanstalten mangelernährt, zwangssterilisiert oder weiterverlegt und ermordet wurden. Die Erinnerung an die Euthanasie-Opfer der Nazi-Zeit ist für uns Mahnung und Auftrag zugleich: Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass Menschen aufgrund von Krankheit, genetischer Disposition, körperlicher oder geistiger Behinderung oder von der Gesellschaftsnorm abweichendem Verhalten nicht ausgegrenzt werden!“
Schulleiter: „Widersprecht, wehret den Anfängen“
Die rund einstündige Gedenkfeier bei Kälte und Schneegestöber gestalteten Schülerinnen und Schüler der Dominikus-Schule des Dominikus-Ringeisen-Werks und des Ringeisen-Gymnasiums Ursberg mit Musik, Texten und dem Vorlesen der Namen aller 379 Opfer. Der Schulleiter des Ringeisen-Gymnasiums Andreas Merz sagte an die Schüler gewandt, sie sollten die richtigen Schlüsse aus dem Wissen über die NS-Vergangenheit ziehen: „Bringt euch ein, widersprecht, wehret den Anfängen und jedem dummen Spruch, setzt Akzente und steht zu eurer Meinung und zu eurer Überzeugung, damit sich das unermessliche Leid, das unglaubliche Unrecht, die unbeschreibliche Menschenverachtung nicht und nie mehr wiederholen.“
Ziel: Höhere Identifikation mit Opfern
Mit dem Gedenkort wollen die Schwestern der St. Josefskongregation einen neuen Akzent in der Erinnerungskultur setzen, wie die Generaloberin Sr. Katharina Wildenauer betonte: „Mit den sieben Stelen mit Bild und Kurzbiografie von jeweils zwei Menschen, die damals ermordet wurden, möchten wir eine höhere Identifikation mit dem persönlichen Schicksal der Opfer wecken.“ Hierzu habe man mit dem Klostergarten einen stillen und leicht zugänglichen Ort gewählt, der zudem barrierefrei zu erreichen sei. „Wir haben die Aufgabe, jedem Menschen Leben in unantastbarer Würde zu gewähren. Das sind wir den Opfern der Diktatur schuldig. Deshalb ist dieser Gedenkort den Schwestern der St. Josefskongregation wie dem Dominikus-Ringeisen-Werk ein großes Anliegen“, so Sr. Katharina Wildenauer.
„Wir erinnern uns mit Schmerz“
Der Geistliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des Dominikus-Ringeisen-Werks Martin Riß zitierte die Autorin und Bildhauerin Dorothea Buck mit den Worten: „Was nicht erinnert wird, kann jederzeit wieder geschehen, wenn die äußeren Lebensumstände sich entscheidend verschlechtern.“ Die 1919 geborene Buck lebte selbst in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung und wurde im Jahr 1936 im Alter von 19 Jahren von den Nationalsozialisten zwangssterilisiert. „Wir erinnern uns mit Schmerz an die 379 Menschen aus unserer Mitte, die gewaltsam zu Tode kamen“, so Riß. „Es ist unsere Pflicht, dass wir in unserem Denken, Reden und Handeln die Erinnerung an diese Menschen aus unserer Mitte stets wachhalten, gerade in Zeiten, in denen sich die äußeren Lebensumstände entscheidend zu verschlechtern drohen.“
Vier Gedenkorte in Ursberg
Neben dem neuen Gedenkort gibt es in Ursberg weitere Orte der Erinnerung an die Opfer des Euthanasie-Programms, der „Aktion T4“ der Nationalsozialisten. Ein 1984 errichtetes Denkmal auf dem Ursberger Friedhof erinnert ebenso an das schreckliche Geschehen wie die Gedenkstätte, die 2004 auf dem Klosterhof geschaffen wurde und die zudem an die Gefallenen der Gemeinde in beiden Weltkriegen erinnert. Im Kreuzgang des Hauses St. Josef am Klosterhof sind zudem alle Namen der 379 Nazi-Opfer aus dem Dominikus-Ringeisen-Werk auf einer Tafel zu lesen. Ebenso gibt es ein Euthanasie-Mahnmal am DRW-Standort Maria Bildhausen in Unterfranken.
Im Kampf um jeden einzelnen Menschen
Die Schwestern der St. Josefskongregation hatten hingebungsvoll um jeden einzelnen der ihnen anvertrauten Menschen mit Behinderung gekämpft, hatten sie so gut es ging versteckt, Meldelisten an die Behörden verzögert und an Bischöfe nachdrückliche Hilfegesuche gerichtet. Eine Mitstreiterin für die Rechte dieser Menschen fanden die Schwestern u. a. in der damaligen Ursberger Anstaltsärztin Dr. Ilsabe Gestering, die die direkte Kommunikation mit den Behörden suchte, um die gesellschaftsrelevanten Leistungen der „Anstaltsinsassen“ zu schildern, die die Nazis allerdings als „lebensunwert“ ansahen. Trotzdem wurden insgesamt 519 Menschen mit Behinderung oft in „grauen Bussen“ abgeholt und in staatliche Tötungsanstalten gebracht. Die meisten von ihnen starben in der Gaskammer der Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz. Vermutlich aufgrund des steigenden Drucks der Bevölkerung auf die Nationalsozialisten und des Protests der Kirchen wurde die „Aktion T4“ am 24. August 1941 offiziell beendet. Die Mordaktionen jedoch gingen unvermindert weiter. Durch die „Entzugs-Kost“ verhungerten Tausende qualvoll in den staatlichen „Heil- und Pflegeanstalten“ unter anderem in Kaufbeuren und Eglfing-Haar.
Foto: St. Josefskongregation/DRW