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Region: „Lands Aid“ hilft in Izmir

Schon seit einem guten dreiviertel Jahr unterstützen wir unseren langjährigen Partner Imece in der Umsetzung verschiedener Maßnahmen im Bildungs-, Gesundheits- und sozialen Bereich, die an aus Afrika geflüchtete Frauen und Kinder richten. Höchste Zeit also, dem Projekt einen Besuch abzustatten. Gemeinsam mit Sabine aus dem Vereinsmanagement reiste unsere Pressereferentin Andrea nach Izmir. Mit einer Vielzahl neuer Eindrücke, Bilder und Stories im Gepäck kehrten die beiden kürzlich zurück.
Die meisten der am Projekt teilnehmenden Geflüchteten kommen aus französischsprachigen Krisenländern Afrikas. Sie leben – wie auch Geflüchtete einiger anderer Nationalitäten – ohne Aufenthaltsstatus und damit ohne Anspruch auf jegliche Art staatlicher Hilfen im Basmane-Viertel in Izmir. Dort sind die Unterkünfte zwar bezahlbar, die Bedingungen aber extrem schlecht.
Mehrere Familien teilen sich oft wenige kleine Zimmer, die teilweise nicht mal über Fenster verfügen. Die hygienischen Bedingungen sind prekär. Oft schlafen Familien zu dritt oder viert auf einer einzigen Matratze, die den wenigen Platz der winzigen Zimmer fast vollständig ausfüllt. Zum Teil wohnen sie in dunklen Kellergeschossen unterhalb der Wohnhäuser im Viertel. Einige Kinder leben hier ohne ihre Eltern, etwa bei befreundeten Familien. „Zwei bis zehn Familien sind in einem Haus – das ist in keinem anderen Viertel in Izmir möglich“, erzählt Bilge, die seit einem Jahr das Projekt für Imece koordiniert. „Die Geflüchteten haben hier zwar ein Dach über dem Kopf, aber einen wirklichen Lebensraum bieten diese Unterkünfte nicht.“
Die Lebenshaltungskosten sind gering in Basmane, die Mieten niedrig – Gründe, warum sich viele Geflüchtete hier ansiedeln. Aber Basmane ist kein sicherer Ort für die hier lebenden Menschen, sagt Bilge. Es ist ein Viertel mit einer sehr hohen Kriminalitätsrate, der Konsum von Drogen ist extrem hoch und der Handel damit floriert. „Das ist gefährlich“, meint Bilge, „besonders für die Kinder und Teenager“. Für die Dealer sind sie beides: potentielle Konsumenten, aber auch billige Unterhändler oder Boten. Obwohl eher selten in dieser Gegend, kommt es doch immer wieder zu Polizeikontrollen. Dabei liegt der Fokus besonders auf den afrikanischen Geflüchteten, die aufgrund ihrer Hautfarbe am leichtesten als solche zu identifizieren sind.
Oft werden Geflüchtete aufgrund ihres fehlenden Aufenthaltsstatus in Gewahrsam genommen und später in ihre Heimatländer ausgewiesen. Nicht selten werden dabei Eltern und Kinder voneinander getrennt. „Manchmal nehmen sie nur die Männer mit“, sagt Bilge. „Wenn Flugtickets zurück in die ursprüngliche Heimat zum aktuellen Zeitpunkt zu teuer sind, müssen die Ausgewiesenen zum Teil über Monate hinweg in Abschiebezentren verweilen, wo aufgrund akuter Überbelegung katastrophale Bedingungen herrschen.“ Die Frauen und Kinder bleiben allein zurück – traurig über den Verlust und in Ungewissheit, wann und ob sie ihren Ehemann und Vater wiedersehen können.
Für die afrikanischen Flüchtlingsfrauen und -kinder, die zum Teil seit Jahren unter schwierigsten Bedingungen im Basmane-Viertel leben müssen, wurde das Projekt im Imece-Center ins Leben gerufen. „Erst waren es die Frauen, für die Empowerment-Maßnahmen umgesetzt wurden“, berichtet Bilge. Im „Solar Age Projekt“ begannen die teilnehmenden Frauen mit der Produktion von Powerbanks, die über Solarenergie betrieben werden. Schnell entwickelten sie große technische Fähigkeiten: Sie lernten und lernen intensiv die Grundlagen der Solartechnik und der Herstellung von Solarmodulen. Die erzeugten Produkte können sie verkaufen und ein eigenes Einkommen damit generieren – aufgrund der mangelnden staatlichen Unterstützung existentiell für sie und ihre Familien. In diesem Jahr haben bereits 48 Frauen an acht Solarenergie-Kursen teilgenommen.
„Außerdem gibt es Seminare und Infomaterial zur sexuellen Gesundheit“, erzählt Bilge weiter. Dieser Teil des Projektes, der die Frauen aufklären und ihnen Sicherheit geben soll, läuft unter dem Motto „Let’s talk about it“.
Im zweiten Schritt starteten Sozialisierungsmaßnahmen für die Kinder. Sie nehmen an einem wöchentlichen pädagogischen Programm mit Workshops und anderen Aktivitäten teil, die auf die einzelnen Altersgruppen abgestimmt sind. „Unsere Türen sind immer offen für die Kinder, ob Klein oder Groß“, sagt Bilge. „Wir wissen: Sie haben keinen anderen Platz, um zu spielen oder um sich zu treffen. Einen solchen Ort möchten wir ihnen bieten.“
„Rund 90 Kinder, die im Basmane-Viertel leben, besuchen unsere Kurse“, so Bilge. Schulstunden und Unterricht für die Kinder, die aufgrund von Sprachbarrieren bzw. ihres fehlenden Aufenthaltsstatus nicht in der Lage sind, eine öffentliche Schule zu besuchen, sind ein wichtiger Bestandteil des Projektes.
Aber auch die psychologische Unterstützung darf nicht unterschätzt werden. Das Imece-Team gibt sowohl den Frauen als auch den Kindern einen „safe space“, einen Ort der Sicherheit, des Vertrauens, der Zuversicht und Raum für Kreativität. „Seit neun Monaten bin ich Schwester, Mutter, Freundin, Krankenschwester, Psychologin – alles in einem“, erzählt Bilges Kollegin Nisan, die seit dem Beginn ihrer Tätigkeit für Imece im Basmane-Center hauptsächlich mit den Kindern arbeitet. „Wir ermutigen die Kinder, kritisch zu denken, wieder Träume zu haben und zu lernen, wie sie sich in der Welt zurechtzufinden können.“
„Dieses Jahr haben wir bisher für insgesamt 160 Frauen und Kinder verschiedene Aktivitäten angeboten“, berichtet Nisan. Immer wieder denkt sich das Imece-Team mit viel Liebe und Kreativität etwas Neues aus, um das Basmane-Center zu einer Insel der Geborgenheit und des Wohlbefindens für die am Programm teilnehmenden Frauen und Kinder zu machen.
Jede Woche wird das Programm neu überdacht und angepasst, erzählt uns Bilge. Was genau geändert wird und welche Aktivität ins Auge gefasst wird, hängt etwa von der Zusammensetzung der Klassen und vom jeweiligen Bildungslevel der Kinder ab. So war es ursprünglich der Plan, die Kinder in türkischer Sprache zu unterrichten. Da aber die meisten der afrikanischen Geflüchteten vorhaben, weiter nach Europa zu gehen, hat Türkisch nicht unbedingt Priorität. Daher liegt der Fokus auf Französisch, Englisch und Mathe – und natürlich auf den zahlreichen sozialen Aktivitäten.
Diesen Sommer gab es erstmals Keramik-Workshops für die Frauen. Sie fertigten Tassen und Becher aus Ton an, brannten ihre Erzeugnisse und malten sie am Anschluss farbenfroh und in kreativen Mustern an. „Wenn sie irgendwann einmal in ein anderes Land gehen, können sie ihre Fertigkeiten dort nutzen“, erklärt Bilge. 20 Frauen haben einen Monat lang an den Kursen teilgenommen.
Ob Fußball im Schulgarten, gemeinschaftliches Gärtnern, Bemalen der Solar Power Banks – „solche sozialen Arbeiten sind sehr wichtig“, betont Bilge. Denn alle am Programm Teilnehmenden hätten ihre eigene traurige Geschichte. Einen bedeutenden Beitrag liefert auch das tägliche gemeinsame Mittagessen für Frauen und Kinder. Das gemeinschaftliche Essen, Reden, Lachen und der Austausch sind ein zentraler Bestandteil des Tages. Auch wird den geflüchteten Frauen Hilfe bei der Bearbeitung verschiedener Dokumente angeboten. „Im Basmane-Center unterrichten wir über das Leben. Es ist so viel mehr als eine Schule oder eine Arbeitsstätte“, betont Bilge.
Eine große Stütze, um all diese Aktivitäten durchführen zu können, sind Ehrenamtliche aus der ganzen Welt, die mit großem Einsatz und viel Engagement das Imece-Center für einige Wochen oder Monate mittragen und mitgestalten.
Ein Problem: „Wenn zu viele Frauen und Kinder kommen, haben wir nicht genügend Platz“, sagt Bilge. „Aber wir versuchen, immer eine Lösung zu finden, zum Beispiel in Form von Gruppenbildungen.“ Pro Tag kommen durchschnittlich fünf Frauen, die auf verschiedenste Art und Weise Unterstützung benötigen und um Hilfe bitten. 40 Kinder gehen täglich in die regulären Unterrichtsstunden. Hinzu kommen die Teenager, die ebenfalls an den Solar-Produkten arbeiten. „Aber auch, wenn sie nicht arbeiten, schauen Sie bei uns rein“, freut sich Bilge. „Einfach die Tatsache, dass jemand für sie da ist, genügt ihnen, um uns zu besuchen. Sie haben hier Freunde, Brüder und Schwestern, fühlen sich sicher. Sie sind hier glücklich. Und das wiederum erfüllt uns mit Glück.“
Das Projekt wird unterstützt durch Aktion Deutschland Hilft. LandsAid ist seit 2012 Mitglied in dem Bündnis von Hilfsorganisationen.
www.landsaid.org