Welche Erfahrungen Teilnehmer machten, die beim „Schichtwechsel“ ihren Arbeitsplatz mit Menschen mit Behinderung geteilt haben
Am Ende mussten die fünf Gäste ihre Eindrücke erstmal sacken lassen. Sie hatten einen Vormittag lang mit Menschen mit Behinderung den Arbeitsplatz geteilt. Für ihren „Schichtwechsel“, einer Initiative der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen, waren sie nach St. Wolfhard gekommen, einer Abteilung der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) des Dominikus-Ringeisen-Werks in Ursberg.
„So ziemlich jeder Beschäftigte, der mir begegnet ist, hatte ein Lächeln im Gesicht“, resümierte Claudia Utz von der Firma Reflexa nach ihrer Schicht. „So ein lustiger und netter Haufen. Ich bin ohne große Erwartungen gekommen und habe so viele positive Erfahrungen gemacht.“ Ihr Kollege Thomas Hauke meinte: „Für mich war das sehr emotional. Die Leiter der Werkstattgruppen tragen eine hohe Verantwortung. Da muss der menschliche Umgang miteinander und gleichzeitig die Qualität der Arbeit stimmen.“ Besonders fasziniert waren die Aktionsteilnehmer von der Kreativität, mit der das Werkstattpersonal mittels speziell angefertigter Vorrichtungen Arbeitsschritte für motorisch eingeschränkte Menschen erst möglich macht.
Was eine Werkstatt so alles leistet
Auch für Armin Herzog, den Chef der Landkäserei Herzog im Roggenburger Ortsteil Schießen, erschloss sich beim „Schichtwechsel“ eine völlig neue Welt. „Ich bin dankbar für die Einladung. Ich habe gar nicht gewusst, was in der Werkstatt alles gemacht wird.“ Zuvor hatte er erfahren, dass viele Unternehmen ganz unterschiedlicher Branchen den Ursberger WfbM-Bereich „Industrielle Fertigung“ beauftragen, Bauteile für ihr Produkte zu fertigen. Daneben gibt es Werkstattgruppen, die spezielle Wünsche in Kleinserie erfüllen. Sie arbeiten in alten, fast ausgestorbenen Handwerkskünsten wie dem Korbflechten, Weben, der Bürsten- und Besenherstellung in der Werkstatt in Pfaffenhausen im Unterallgäu, erarbeiten viele kreative und dekorative Dinge aus Leder oder aus wiederverwendbaren Materialien. Auch die Ursberger Schreinerei ist auf individuelle Kundenwünsche eingestellt und erfüllt diese mit ihren Beschäftigten mit Handicap und moderner Technik.
„Motivation ohne Ende“
Armin Herzog war in der Werkstattgruppe von Michael Deseive eingesetzt und lernte von Angela Terkovits, wie man Mischerelemente fertigt. Damit werden die Inhaltsstoffe aus zwei Kartuschen gemischt. Miteinander wurde viel gescherzt und gelacht. „Wir haben uns mit Handschlag verabschiedet. Die haben Motivation ohne Ende“, schwärmte der Unternehmer anschließend. Auch zwei weitere Mitarbeiterinnen von Reflexa aus Rettenbach, die sonst in der Personalabteilung des Unternehmens tätig sind und eher am Schreibtisch als an der Werkbank sitzen, lernten von Menschen mit Behinderung. Sie falteten Produktkartons und unterstützten bei Vor- und Sortierarbeiten. Auch sie ließen sich anstecken von der Herzlichkeit, Freude und der angenehmen Arbeitsatmosphäre in ihrer Arbeitsgruppe. „Die einzelnen Schritte der Produktion zu sehen war schon sehr interessant“, sagte Silke Music. Ihre Kollegin Bianca Kaiser ergänzte amüsiert: „Ich fragte jemanden nach seinen Hobbys. Seine Antwort: Frühaufstehen und zur Arbeit gehen.“
Mit Klischees aufräumen
Beim Aktionstag „Schichtwechsel“ soll mit Klischees aufgeräumt werden. Denn die wenigsten Menschen haben eine Vorstellung von den Leistungen, die in den Werkstätten erbracht werden. Den Mitarbeitenden aus Unternehmen ermöglicht der Aktionstag Begegnungen mit Menschen, die dort arbeiten. Sie bekommen Einblicke in die Vielfalt der Produkte und Dienstleistungen der Werkstätten und können selbst bei den vielseitigen Arbeitsprozessen mitwirken. Die Beschäftigten der Werkstätten wiederum schnuppern im Rahmen des „Schichtwechsels“ hinein in Berufsfelder des allgemeinen Arbeitsmarkts und lernen ein Unternehmen für einen Tag näher kennen. Über das verbindende Thema Arbeit schafft der Aktionstag Raum für neue Perspektiven und hilft, Vorurteile abzubauen. So arbeiteten Werkstattbeschäftigte aus Ursberg an diesem Tag bei der Landkäserei Herzog, bei Reflexa und bei Roma in Burgau.
Im nächsten Oktober soll es wieder einen bundesweiten Schichtwechsel geben und die Ursberger haben vor, wieder mitzumachen. „Für Firmen ist es einfach eine tolle Möglichkeit, besondere Menschen kennenzulernen, deren Arbeit in ihren Endprodukten steckt“, sagte Ralf Egner, der Leiter der WfbM. Und seine Gäste äußerten unisono: „Das nächste Mal sollte der ‚Schichtwechsel‘ etwas länger dauern.“ Dann würden sie gerne mal einen ganzen Arbeitstag in einer Werkstatt für behinderte Menschen verbringen.
Foto: Dominikus-Ringeisen-Werk