Kein Abschied für immer: Kämmerer lehrt weiter Pharmakologie
Die Apotheke am Universitätsklinikum Augsburg ist eine der größten in Deutschland. Sie beliefert nicht nur das eigene Haus, sondern 15 weitere Kliniken. In den zunehmenden Lieferengpässen von Arzneimitteln sowie in einem Mangel von qualifizierten Fachkräften sieht der Direktor der Apotheke, Prof. Dr. Wolfgang Kämmerer, die größten Herausforderungen der Zukunft. Nun geht er in den Ruhestand.
Von Ines Lehmann | Als Chef-Apotheker einer der größten Krankenhaus-Apotheken in Deutschland hat Prof. Dr. Wolfgang Kämmerer einiges erlebt in seiner Zeit am Universitätsklinikum Augsburg, aber diese Erfahrung war selbst ihm neu: „Im Januar 2021 bekamen wir die Corona-Impfstoffe für ganz Schwaben zugeteilt. Bewaffnete Bereitschaftspolizisten haben die Lieferungen überwacht, während wir fieberhaft daran arbeiteten, eine lückenlose Kühlkette herzustellen. Das war eine echt heiße Zeit.“ Seine Zeit am Universitätsklinikum Augsburg endet im Februar nach zehn Jahren. Kämmerer, 68, hat dann bereits auf Drängen des Ärztlichen Direktors zwei Jahre verlängert. Nun geht er in den Ruhestand.
Als Kämmerer die Klinikums-Apotheke im Juli 2013 übernimmt, steht er vor riesigen Herausforderungen: zu wenig pharmazeutisches Personal, tausende Überstunden, viel Handarbeit. Der Pharmazeut und Pharmakologe packt in den nächsten zehn Jahren nicht nur die Schwachstellen an, er stellt die Apotheke auch zukunftsfähig auf, transformiert sie in eine universitäre Apotheke und steuert sie sicher durch die drei Pandemie-Jahre. In seiner Zeit wird der Mitarbeiter-Pool auf etwa 60 Köpfe aufgestockt, die Logistik mittels zweier Kommissionierautomaten mit Robotern künftig intelligent gelöst, die Sicherheit der Arzneimitteltherapie durch entsprechende Software maximiert. Für den Medizinstudiengang übernimmt er die Lehre in allgemeiner und klinischer Pharmakologie. Die Beratung der Kliniken und Institute baut er deutlich aus: „Leider ist es mir nicht gelungen, in jeder Klinik einen Apotheker zu installieren“, erzählt Kämmerer. Das liegt aber sicher nicht an ihm, sondern unter anderem an einem begrenzten Personalbudget sowie einem erkennbaren Fachkräftemangel. Im Vergleich mit anderen Universitätsapotheken besitzt die Apotheke des UKA bislang deutlich weniger Mitarbeiter, die Arbeitsbelastung ist hoch, hinzu kommen die anspruchsvollen Dienste. Trotzdem ist es gelungen, in einigen Kliniken eine Visitenbegleitung zu etablieren. Kämmerer betont, dass sich das hohe Leistungsniveau nur durch das sehr große Engagement des gesamten Teams der Apotheke halten lässt.
Umsatz mit Arzneimitteln liegt bei 80 Millionen Euro
Räumlich müssen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer der mit zirka 4.400 Betten vom Versorgungsauftrag größten Krankenhaus-Apotheken im Land ebenfalls bescheiden. Auf ungefähr 2.700 Quadratmetern werden dennoch jährlich rund 800.000 Anforderungen abgewickelt und beispielsweise um die 34.000 Zytostatika-Zubereitungen (also natürliche oder synthetische Substanzen, die das Zellwachstum beziehungsweise die Zellteilung hemmen und auf diese Weise Tumorzellen zerstören oder am Weiterwachsen hindern) hergestellt. Der Umsatz mit Arzneimitteln liegt bei etwa 80 Millionen Euro. Die Zahl der Krankenhäuser, die die Apotheke des Universitätsklinikums neben den eigenen drei Standorten beliefert, erhöht sich auf 15. Für 2023/2024 ist ein neuer Herstellungsbereich für sterile Arzneimittelzubereitungen wie Zytostatika-Zubereitungen und parenterale Ernährungslösungen für Früh- und Neugeborene geplant, der auf der Wiese neben dem Versorgungsgebäude entstehen soll. Kämmerer, der sich auf seinen Ruhestand – mehr Sport und Garten, Reisen mit seiner Frau und insgesamt weniger Verantwortung – freut, ist ein wenig traurig, dass er die Inbetriebnahme des Herstellungsbetriebs, für den er so lange gekämpft hat, nicht mehr selbst vollziehen kann.
Auch die Herausforderungen in Bezug auf die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung durch Lieferschwierigkeiten und Engpässe bei vielen zum Teil lebensnotwendigen Arzneimitteln werden immer größer. So sind zirka zehn Prozent des regulären Arzneimittelsortiments nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Besonders in der Onkologie, die immer mehr auf individuelle Therapien setzt, ist die Verfügbarkeit der auf das jeweilige Krankheitsbild zugeschnittenen Medikamente wichtig. Daher stellen speziell geschulte Mitarbeiter Infusionen und Injektionen für die Chemotherapie an der Zytostatiker-Werkbank im Reinraum selbst her. Ein gesteuerter Luftstrom sorgt dabei für aseptische Arbeitsbedingungen. Denn auch bei der Herstellung von Medikamenten zur intravenösen Verabreichung von Früh- und Neugeborenen-Nahrung muss es absolut keimfrei zugehen.
Die Gründe für Medikamentenknappheit sind vielschichtig, liegen aber auch in der Abhängigkeit der Produktion von Ländern wie China und Indien. „Die Herstellung von Arzneimitteln zumindest teilweise nach Europa zurückzuholen, ist ein Ziel, das sich nicht von heute auf morgen realisieren lässt.“ Mindestens ein Apotheker oder eine Apothekerin ist ständig damit beschäftigt, die Lieferprobleme zu lösen und die Arzneimittelversorgung sicherzustellen, indem nach Ersatz-Wirkstoffen oder Ersatz-Herstellern gesucht wird. Teilweise sind während der Corona-Jahre sedierende Arzneimittel für schwer erkrankte Covid-Patienten nicht mehr in ausreichender Menge vorhanden und müssen zugeteilt werden. In der Kooperation mit allen Beteiligten wie Ärzten, Pflegekräften und pharmazeutischer Industrie kann jedoch auch dieses Problem gelöst werden.
EDV-gestützter Konsiliardienst erhöht die Arzneimitteltherapiesicherheit
Die Kliniken des UKA, aber auch die angeschlossenen Krankenhäuser werden vom Team der Apotheke regelmäßig und erfolgreich beraten. Denn Arzneimitteltherapiesicherheit hat für jeden Apotheker und jede Apothekerin höchste Priorität. „Nahezu keine Arznei kann absolut selektiv wirken, das heißt nur dort, wo sie soll“, sagt Kämmerer. „Zu unseren anspruchsvollsten Aufgaben gehört es, die Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten.“ So kann zum Beispiel ein EDV-gestützter Konsiliardienst für die internistischen Kliniken am UKA aufgebaut werden, um die Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten und Pharmazeuten weiter zu stärken. Die steigenden Patientenzahlen insbesondere im ambulanten Bereich durch die Hochschulambulanzen stellen weitere Herausforderungen für die Sicherung der Arzneimittelversorgung und der Arzneimitteltherapiesicherheit dar. „Diese hohe Verantwortung abgeben zu können, darauf freue ich mich“, sagt Kämmerer. Und es ist kein Abschied für immer: Er wird weiterhin die Lehre in Pharmakologie und klinischer Pharmakologie an der Medizinischen Fakultät begleiten. In diesem Sinne wünschen wir alles Gute für den Ruhestand.