Viele Eltern kennen das: Kinder, die sich an der Supermarktkasse brüllend auf den Boden werfen, weil sie eine gewünschte Süßigkeit nicht bekommen; die lautstark aufbegehren, wenn sie ins Bett gehen sollen, obwohl sie sich noch nicht müde fühlen oder gegenüber den Eltern ausfallend und verletzend werden, weil sie draußen spielen sollen, statt sich mit digitalen Medien zu beschäftigen. Das ist alles nicht bedenklich – jedenfalls nicht bis zu einem gewissen Alter: Kinder lernen Selbstregulation schrittweise und durch Beobachtung. Gemeint ist damit die Fähigkeit, die eigenen Impulse und Bedürfnisse mit den Anforderungen von außen abzugleichen.
Wo dieser Lernprozess in Kindheit und früher Jugend nicht oder nur unzureichend stattfindet, können im Erwachsenenalter Probleme entstehen. Menschen, die in frühen Jahren nicht gelernt haben, sich selbst zu regulieren, leiden als Erwachsene beispielsweise verstärkt unter gesundheitlichen Problemen.
Wie der Prozess des Lernens der Selbstregulation insbesondere im Hinblick auf Kinder und Familien mit erhöhtem Förderbedarf im emotional-sozialen Bereich gelingen kann, war Thema des 8. Fachforums Inklusion an der Albert-Schweitzer-Schule in Sonthofen. Unter dem Titel „Wann leuchtet das Frontalhirn – Ein Blick durch die Brille der Hirnforschung“ trafen sich über 80 Lehrkräfte, Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Fachkräfte von Beratungsstellen und weitere Interessierte. Erstmals nach Ende der Corona-Pandemie konnte dieser Dreiklang von Teilnehmenden aus dem Kita-, dem Jugendhilfe- und dem Therapiebereich wieder zum direkten Austausch über wirksame Konzepte zu Deeskalation und Selbstkontrolle zusammenkommen. Moderator Christian Frey, 1. Konrektor der Albert-Schweizer-Schule, führte durch die Veranstaltung.
Inklusion – dieses Thema zieht sich durch den Fachbereich „Demographischer Wandel und Bildung“ des Landkreises wie ein roter Faden. Das machte der Schirmherr der Veranstaltung, Ralph Eichbauer, Leiter der Abteilung „Mensch und Gesellschaft“ im Landratsamt, in seiner Eröffnungsrede deutlich, als er sagte: „Wir wollen nicht, dass auch nur ein einziges Talent verloren geht.“ Diese Schwerpunktsetzung honorierten die Anwesenden: Ein Drittel von ihnen war zum ersten Mal bei einem Fachforum Inklusion dabei, welches klassischerweise aus zwei Teilen besteht.
Den Impulsvortrag steuerte in diesem Jahr Expertin Dr. Sonja Quante bei. Als systemischer Coach, systemische Therapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen, hat sie sich dem Ansatz verschrieben, bei Förderung von exekutiven Funktionen und Selbstregulation auf die neurobiologischen Funktionen des Gehirns zu setzen. So fragte sie in ihrem Impulsvortrag etwa, was im Frontalhirn bei Aggression passiert und welche Bedeutung Selbstregulation für Lernen und Verhalten haben. Ihre Erkenntnis: Selbstregulation ist erlernbar – neue oder herausfordernde Situationen bringen das Frontalhirn zum Leuchten. Solche Mechanismen, so Dr. Quante, könne man sich zunutze machen und erläuterte den anwesenden Fachkräften wie Kinder durch Gespräche, Achtsamkeits- und Entspannungsübungen aber auch durch unterstützende Materialen, Spiele und eine entsprechende Umgebung beim Erlernen von Selbstkontrolle unterstützt werden können.
Beim anschließenden Austausch der Teilnehmenden in moderierten Kleingruppen wurde deutlich, welche große Rolle das Thema Selbstkontrolle sowohl im Kleinkindalter, als auch im schulischen und außerschulischen Bereich spielt.
Ein positives Fazit zogen vor diesem Hintergrund die Verantwortlichen des Oberallgäuer Bildungsbüros, Anja Maurus und Anne Henning: „Wir freuen uns, dass der Impulsvortrag von Frau Dr. Quante den Teilnehmenden aus den verschiedensten Einrichtungen wertvolle Informationen vermitteln konnte, die wiederum zu einem fruchtbaren Austausch und zur weiteren Netzwerkbildung beigetragen hat. Die Ergebnisse der Veranstaltung werden in jedem Fall in die Weiterentwicklung der Bildungsregion Oberallgäu einfließen.“