Nur etwas mehr als eine Sekunde dauerte es, bis der 1,5 Kilo schwere Stein in den Skoda einschlug. Aus gut acht Metern Höhe krachte der Brocken am Abend des 20. November 2020 auf das mehr als 100 Kilometer pro Stunde schnelle Auto auf der Autobahn 96. Auch dank der Warnung seiner Tochter konnte der Fahrer noch reagieren. Der Stein durchbohrte nicht die Windschutzscheibe, sondern die Motorhaube des Wagens. Die beiden Insassen blieben unverletzt.
Der Wurf des Steins in Memmingerberg (Landkreis Unterallgäu) geht nach Auffassung des Landgerichts Memmingen auf das Konto eines 42-Jährigen. Wegen versuchten Mordes und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zwei Fällen wurde der Mann am Donnerstag zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Vater und Tochter im Wagen sei «durch einen glücklichen Zufall» nichts passiert, sagte der Vorsitzende Richter Christian Liebhart. Der Angeklagte habe mit dem Wurf des Steins «mögliche tödliche Folgen billigend in Kauf genommen».
Der 42-Jährige mit türkischer Staatsbürgerschaft hatte die Tat ebenso bestritten wie zwei weitere ihm vorgeworfene Würfe von Brücken in der Region. Vor Gericht ließ er im September durch seine Anwältin erklären, er «würde so etwas nie tun». Steine auf fahrende Autos zu werfen halte er für «sinnlos» und «höchst verwerflich».
Bei einer der drei ihm vorgeworfenen Taten hatten Ermittler aber seine DNA auf dem geworfenen Stein gefunden. Der Angeklagte hatte bei der Polizei und vor Gericht gleich mehrere widersprüchliche Erklärungen dafür geliefert: Mal hatte er damit ein Loch vor einem Haus geschlossen, dann das steinerne Hindernis aus dem Weg einer älteren Frau geräumt. Ein anderes Mal sagte er, er sei im Dunkeln darauf getreten und hätte den Stein danach auf die Seite geworfen.
Das Gericht hielt diese Erklärungsversuche nicht für plausibel. Richter Liebhart sagte, der Angeklagte habe mit dem Wurf des Steins seinen Frust ablassen wollen. Ihm habe die Kündigung seiner Wohnung bevorgestanden, er habe unter Geldnot gelitten, sich hilflos gefühlt. Dazu passe, dass der 42-Jährige im November wegen seiner Spielsucht und Geldmangels mit einer für seine Nachbarin bestimmten Kreditkarte und dem zugehörigen PIN-Brief insgesamt 1400 Euro abgehoben habe, sagte Liebhart. Der Angeklagte wurde am Donnerstag deshalb auch wegen Computerbetrugs verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
In den anderen beiden Steinwurf-Fällen sah Liebhart im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft keine ausreichenden Beweise dafür, dass der 42-Jährige für die Taten verantwortlich sein könnte. Man könne letztlich nicht ausschließen, dass es andere Täter gebe. Schließlich habe es nach der Festnahme des Mannes im Januar noch eine ähnliche Tat in der Region gegeben, sagte Liebhart. «Mit anderen Worten gibt es leider offenbar genügend andere Leute, die so was machen.»
Nach Angaben des Bayerischen Landeskriminalamts sind es oft Kinder, Jugendliche oder Betrunkene, die Gegenstände auf Fahrzeuge fallen ließen. Dabei werde nicht unbedingt mit krimineller Energie gehandelt, sagte eine Sprecherin der Behörde.
Prozesse wegen ähnlicher Fälle gibt es aber immer wieder in Deutschland. Im Februar wurden drei junge Männer in Flensburg zu bis zu fünf Jahren Haft wegen Steinwürfen auf einen mit Senioren besetzten Kleinbus verurteilt. Zwei Angeklagte hatten laut Urteil aus Langeweile je einen Pflasterstein geworfen, der dritte den Fluchtwagen gefahren. Verletzt wurde in diesem Fall niemand.
Eine der folgenreichsten Taten trug sich dagegen Ostern 2008 auf der A29 in Niedersachsen zu. Ein Mann warf dort einen sechs Kilogramm schweren Holzklotz auf den Wagen einer Familie. Der Klotz durchschlug die Windschutzscheibe und tötete eine 33 Jahre alte Mutter. Ihr Mann und die beiden Kinder erlebten die Tragödie in dem Auto mit. Das Verbrechen hatte bundesweit Bestürzung ausgelöst, der Täter wurde vom Landgericht Oldenburg zu lebenslanger Haft verurteilt.