Start Nachrichten Region: Nach 33 Jahren verabschiedet sich Schulleiter Reiner Wottrich von der Pflegeschule...

Region: Nach 33 Jahren verabschiedet sich Schulleiter Reiner Wottrich von der Pflegeschule der Wertachkliniken in den Ruhestand

Zwei Enkel, eine Modelleisenbahn und über 450 Schallplatten warten auf Reiner
Wottrich. Nach 33 Jahren geht der Schulleiter der Berufsfachschule für
Pflege an der Wertachklinik in Bobingen nun zum Jahreswechsel in den
wohlverdienten Ruhestand. Das Amt des Schulleiters hat er bereits im
September, zum Beginn des neuen Ausbildungsjahrganges, an seine
Nachfolgerin Jessica Schipf übergeben und war seit dem, wie er selbst
sagt ‚Assistenz-Schulleiter‘.

„Die Pflegeschule war mein drittes Kind“, sagt der zweifache
Familienvater. Er hat über drei Jahrzehnte viel Arbeit, Zeit und Energie
in dieses ‚Kind‘ gesteckt, hat es genährt und gestärkt und immer
wieder an die Herausforderungen der jeweiligen Zeit angepaßt. Auch
in den sogenannten Corona-Jahren.

„180 Verordnungen von mehreren verschiedenen Ämtern, die sich
nicht immer untereinander abgesprochen haben – und dazu die
unterschiedlichen Probleme aller Beteiligten bei der Digitalisierung des
Unterrichts“, erinnert sich Wottrich seufzend an seine letzten zwei
Jahre als Schulleiter, und lobt im gleichen Atemzug seinen
Stellvertreter: „Oliver Kraus hat da wirklich hervorragendes geleistet.“
Als Reiner Wottrich 1976 seine Ausbildung zum Pfleger im
Bezirkskrankenhaus (BKH) in Kaufbeuren begann, war die Definition
von Pflege noch eine andere als Heute – insbesondere im Umgang mit
geistig Beeinträchtigten. „Das war damals mehr Überwachung als
Pflege“, erinnert er sich. Unter Körperpflege verstand man damals
beispielsweise lediglich, dass alle zwei Wochen alle gebadet wurden.
Aber Wottrich scherte aus, fand seine Nischen und ging seinen
eigenen Weg: „Ich habe mich bemüht, mit den Menschen in Kontakt zu
kommen, und ihnen zum Beispiel beigebracht, sich täglich die Zähne
zu putzen. Und sie haben mir auf ihre Weise gedankt“, erinnert sich
der Schulleiter an die vielen kleinen Erfolgserlebnisse und das schöne
Gefühl, wenn die Patienten ihm ihr Vertrauen schenkten.

Nach vier Jahren wechselte er auf der Suche nach neuen
Herausforderungen zur neurologischen Intensivstation der
Universitätsklinik Großhadern. „Das war meine schönste Zeit in der
Pflege“, sagt er rückblickend. Das ganze Team habe toll
zusammengearbeitet und sowohl die Patienten, als auch die Ärzte –
inklusive Chefarzt – seien dem Pflegepersonal mit viel Wertschätzung
und Anerkennung begegnet.

Als schönsten Moment in der Pflege erinnert sich Reiner Wottrich an
ein Mädchen, das nach 40 Minuten unter Wasser reanimiert worden
war, und dann aus dem künstlichen Koma erwachte und keinerlei
gesundheitliche Schäden hatte. Für die katholische Kirche war dies
eines der Wunder, wegen der die Kaufbeurer Nonne Crescentia im
Jahr 2001 heiliggesprochen wurde.

Weniger schön sei dagegen die Pflege gehirntoter Patienten, die als
Organspender oder aufgrund des Wunsches der Angehörigen an
Maschinen angeschlossen waren und versorgt werden mussten,
erinnert sich Wottrich an seine Zeit in der neurologischen
Intensivstation. Besonders in Erinnerung ist ihm ein dreijähriger Junge,
dessen Eltern es sechs Tage lang nicht schafften, dem Abschalten der
Maschinen zuzustimmen.

„Für Laien ist das schwer zu verstehen, dass der geliebte Mensch,
dessen Brustkorb sich hebt und senkt weil er an eine Herz-
Lungenmaschine angeschlossen ist, tot ist“, erklärt der Pfleger
verständnisvoll. Aber man spüre es, der Körper kühle aus, sagt er:
„Darüber wird nicht oft gesprochen, aber das ist für die Pflegekräfte
sehr belastend, wenn sie gehirntote Patienten versorgen.“

Es sind immer die Pflegekräfte, die besonders nah am Patienten dran
sind. In den schlechten, aber auch in guten Zeiten. Das weiß Wottrich
aus eigener Erfahrung, und hat dieses Wissen auch immer gerne an
seine Schülerinnen und Schüler weitergegeben.
Nach vier Jahren auf der Intensivstation in Großhadern zog es ihn
wiederum weiter: Er begann eine Ausbildung zum Unterrichtspfleger,
absolvierte ein Praktikum in der Pflegeschule in Bobingen und fing
1989 an, dort zu arbeiten. Nach eineinhalb Jahren wurde er dann völlig
überraschend Schulleiter. Ohne Einarbeitung wurde er ins kalte
Wasser geworfen und war in den ersten sechs Monaten auch noch
völlig auf sich alleine gestellt.

Aber er geht die Aufgaben an, die ihm gestellt werden. Auch, als die
Schule in Bobingen zwei Mal kurz vor dem Aus steht. „Nach der ersten
Durststrecke hatte ich eigentlich immer tolle Kollegen“, lautet
Wottrichs Bilanz: „Und mit Herrn Gösele haben wir seit über zehn
Jahren einen Klinikvorstand, der uns wirklich gut unterstützt, weil er
weiß, wie wichtig die Ausbildung von Pflegepersonal ist.“

Bei der Fusion der städtischen Krankenhäuser von Bobingen und
Schwabmünchen wurden 2006 auch deren Pflegeschulen
zusammengelegt. Seitdem finden immer drei Kurse parallel statt. Das
heißt, jedes Jahr beginnt eine neue Klasse mit ihrer dreijährigen
Ausbildung. Und seit diesem Jahr sind die Kurse zur examinierten
Pflegefachkraft generalisiert. Das heißt, die Absolventinnen und
Absolventen können sowohl in der Kranken- als auch in der
Kinderkranken- und in der Altenpflege arbeiten.

Zusätzlich dazu gibt es ab dem nächsten Jahr auch noch die neuen
Kurse der Pflegehelfer:Innen. Die werden nun jedoch von Jessica
Schipf, der neuen Schulleiterin, organisiert. Natürlich wäre Reiner
Wottrich nicht Reiner Wottrich, wenn er nicht auch weiterhin mit Rat
und Tat zur Verfügung stünde. „Aber Frau Schipf macht das sehr gut,
und mir wird bestimmt nicht langweilig“, sagt der scheidende
Schulleiter und freut sich auf die freie Zeit für seine Hobbys.

Foto: Doris Wiedemann